Was bleibt von uns? (Plastik)

Liebe Verpackungsindustrie,

ich habe viel, eigentlich viel zu viel Scheiße mitgemacht – aber neulich, neulich habt ihr mich endgültig verloren. Es war als ich vom Discounter in den Bioladen geflohen war um unverpacktes Gemüse zu kaufen und alles was ich fand war eine Gurke im Kunststoffkondom.

Ich habe mir die Finger bei dem Versuch aufgeschnitten Speicherkarten aus Ihren gigantischen Hartplastiksichtverpackung zu befreien und mit blutenden Fingern Cutter, Götter und euch verflucht.

Ich bin in vollendet blinder Wut auf Verpackungen herumgesprungen, denen selbst meine größte Schere nicht gewachsen war. Dabei war mir meist noch nicht einmal ein sattes Knacken vergönnt, weil ihr auch noch Weichmacher in die Verpackungen kippt.

Ich hab Ratatouille gekocht und hätte ungefähr dieselbe Menge Plastikvielerlei aus den Verpackungen der Zutaten machen können. Das hätte vermutlich auch nicht deutlich aussageloser als das totgezüchtete Gemüse geschmeckt.

Ich habe mich gefragt warum es erlaubt ist 80 gr. Schinken in 100 gr. Großdisplayverpackung einzuschweißen, an der man verzweifelt in der Morgeneile minutenlang friemelt, irgendwann wutentbrannt das größte Messer zückt und schließlich Verpackung, Schinken und Finger aufritzt.

Ich habe sogar aus Versehen in Plastik gebissen weil ihr irgendwann auf die Idee gekommen seid, dass genau dieser Schinken noch jeweils durch Plastikfolie dicker als der Schinken selber – aber bedeutend schlechter sichtbar – getrennt werden sollte. Convenience – sagt ihr. Kommtmirmalnachhause – sage ich.

Ich habe mich gefragt ob es irgendeine Aromaschutzverpackung auf dieser Welt gibt, die jemals wieder zugegangen ist, um ihrer Funktion nachzukommen, während ich angetrockneten bläulich schimmernden Schinken zwischen Folienstücken in den Restmüll befördert habe.

Ich habe in Ermangelung eines Dosenöffners mit Hammer und Stechbeitel auf Dosen eingehauen, bei denen der Öffnungsring abgebrochen war. Man glaubt gar nicht wie schlecht vorperforiert so eine Dose sein kann und welche Wucht gestückelte Tomaten entfalten, wenn der Deckel schließlich großflächig nachgibt.

Ich habe Bonbonverpackungen aufgerissen um darin Bonbonverpackungen zu finden in denen Bonbonverpackungen sind. Nur dass die letzte Schicht dieser Verpackungs-Matrjoschka als Endgegner regelmäßig untrennbar mit dem Bonbon verbunden blieb, während meine Lust auf Süßes bereits purer, vollendeter Ungelduld gewichen war.

Ich habe mit ansehen müssen wie nach- und nach all die Milchflaschen und Joghurtgläser verschwanden bis da irgendwann nur noch Tetrapaks waren und mein innerer Umweltengel weinend daneben stand. Dabei sind Tetrapaks ja sogar ökologisch, denn Milch schmeckt schließlich erst wenn sie aus Bayern nach Norddeutschland transportiert wird und da sind Glasflaschen einfach zu schwer. Wie schön wenn man die Logik schon so durch den Reißwolf des kapitalistischen Wahnsinns gedreht hat, dass niemand mehr merkt wie eine Perversion mit einer anderen begründet wird.

Ich habe freudloses Bier aus PET-Flaschen getrunken und mich wie ein verzweifelter Alkoholiker gefühlt, der auch lauwarme Bierpisse aus dem Rinnstein trinken würde. Weil sich Plastikflaschen schon beim Öffnen scheiße anfühlen und erst recht wenn dieses widerlich nichtkalte, scharfkantige Plastik an die Lippen kommt und die Flasche beim Trinken nachgibt. Weil Bier verfluchte Scheiße nochmal in Glasflaschen gehört!

Was mich daran an all dem fertig macht ist noch nicht einmal das Plastik an sich. Was mich wirklich fertig macht ist die zunehmende Funktionslosigkeit der Verpackungen. Verpackungen, die alles können nur nicht Verpackung sein oder aufgehen. Verpackungen, die sich eigentlich nur noch selbst verpacken. Weil das Produkt quasi nur noch Beiwerk ist. Ein fast schon zufälliger Inhalt in schreiend bunt bedrucktem Nichts. Was mich genauso fertig macht ist die Stillosigkeit und der Verlust von allem was natürlich, oder menschlich schön war an Verpackungen. Wenn ihr könntet, ihr würdet sogar 30-Jahre alten Whiskey in PET-Flaschen mit doppelte Alu-Sperrschicht füllen und Bananen in künstliche Bananenschale mit Aromaschutzreißverschluss verpacken. Ihr würdet das ganze Leben in so viele Schichten Plastik einwickeln bis jeder Geruch, jeder Geschmack, jedes Gefühl und jede haptische Freude antibakterieller Sterilität gewichen ist und alles was Schönes bleibt dieses befriedigende Knackchrrrrrrschick ist, wenn die Einwegplastickflaschen am Rücknahmeautomaten zusammengedrückt werden.

Und ja. Ich habe jahrelang fast alles hingenommen, dabei hätte ich schon lange meinen kompletten Hausmüll im vermutlich mit Plastik beschichteten Empfangsbereich euer Firmenzentralen abbrennen sollen. Ich hätte euch auf dem Weg zur Arbeit abgestandenes Bier aus PET-Flaschen vom Lidl um die Ecke übers sauber gescheitelte Haar kippen können (Hey ist ein super Haarfestiger!) und mit Munitionsgürteln aus probiotischen Joghurtfläschchen und Luftpumpenkanonen eurer Flucht eine ordentliche Linksdrehung verpasst. Denn – ganz ehrlich – wer Kaffeekapseln erfindet, der hat kein Anrecht mehr auf ein ungestörtes und glückliches Leben. Der hat ein Anrecht auf eine morgendliche Kaffeekapsel. Rektal eingeführt. Zum Wachwerden. Mit deutlicher Espressonote.

Ich wünsche euch, dass ihr eines morgens aufwacht und merkt, dass ihr keine Luft mehr kriegt, weil ihr wie eine unschuldige Salatgurke komplett in durchsichtiges Schrumpfplastik eingeschweißt seid. Panisch und vakkuumverpackt versucht ihr mit euren Händen das Plastik aufzureißen. Aber wie soll das gehen? Eure Hände sind doch genauso glatt plastikbezogen wie der ganze Rest. Mit der letzten Luft, die euch noch bleibt, torkelt ihr schon halb erstickt aus dem Bett und schlagt euch schließlich zu eurem Glück an der Regalecke den Schädel ein. Zu eurem Glück, denn dabei reißt auch das Plastik auf und ihr holt gierig Luft, schält euch aus der Verpackung und atmet schließlich erleichtert auf bis ihr im Spiegel seht, dass unter dem Kunststoff eine eklige, trockene weiße Schmiere aus Weichmacher und anderen Plastikrückständen auf eurer Haut ist. Eine Schmiere, die auch nach minutenlangem Reiben und Waschen kaum abgeht und ihr fühlt wie all die fiesen Stoffe eure Haut, eure wunderbare natürliche Schutzschicht, durchdringen und euch langsam vergiften. Und während ihr die Haut verzweifelt wund reibt merkt ihr, dass der Regen an euren Scheiben gar kein Wasser ist, sondern aus Kaffeekapseln und Mini-Danone-Fläschchen besteht, die ein wütender Mob von „dem Verbraucher“ der all diese Convenience-Produkte doch immer wollte mit gnadenlosen Verwünschungen garniert nach euch wirft. Ihr wollt schnell wieder vom Fenster weglaufen als eine ungeöffnete Dose Pizzatomaten (Der Öffnungsring war abgebrochen) das erste Loch hineinschlägt, rutscht aber auf der Großdisplayverpackung eures Mitternachtssnacks aus und endet so schließlich in lautem Knallen und Splittern in einem Berg aus Hartplastikverpackungen, der plötzlich und unerwartet in eurer Zimmermitte aufgetaucht ist.

Schwer atmend wacht ihr auf und es war doch nur die Synthetikbettdecke, die über euer Gesicht gerutscht war. Aber die Bilder, die bleiben hoffentlich für immer. Und ich, ich werde ab jetzt alles was geht auf dem Wochenmarkt einkaufen und jede beschissene unnötige Verpackung im Discounter oder Biomarkt, die sich nicht vermeiden lässt direkt liegen lassen – am liebsten gleich auf dem Laufband. Und vermutlich werde ich nie wieder Gurkensalat essen, weil ich diesen Ekel angesichts von Gemüse in Plastikhaut einfach nicht loswerde, aber ihr einem ja fast keine Wahl mehr lasst.